Das Pferd als Co-Pädagoge
Eine unvermeidbare Voraussetzung dafür, dass Tiere wirkungsvoll im pädagogischen Sinne eingesetzt werden können, ist die Du-Evidenz, denn sie ist die Grundlage für eine Beziehung zwischen Mensch und Tier (vgl. Greiffenhagen/Buck-Werner 2007, S.24f.).
„Mit Du-Evidenz bezeichnet man die Tatsache, dass zwischen Menschen und höheren Tieren Beziehungen möglich sind, die denen entsprechen, die Menschen unter sich bzw. Tiere unter sich kennen“(ebd. S. 22).
Demnach geht es um die sozio-emotionale Fähigkeit, sowie um das Bewusstsein ein anderes Lebewesen als Individuum wahrzunehmen und zu respektieren (vgl. Schmidt 2012, S.47). Bezüglich der tiergestützten Pädagogik können diese Du-Erfahrungen im Sinne vielfältiger Identifikationsmöglichkeiten und einer positiven Anthropomorphisierung genutzt werden (vgl. Hartmann 2010, S.92).
Pferde stellen gute Partner für solch eine tiergestützte Pädagogik dar, da sie über gewisse Eigenschaften verfügen, die sie dafür prädestinieren.
Nach Baum sind es vier Grundeigenschaften:
1. Pferde sind in ihrem Verhalten weitgehend konstant und somit verlässlich in ihrem Verhalten.
2. Ihre Verhaltensweisen sind biologisch erklärbar, damit verständlich und Ergebnis einer artgerechten Reaktion.
3. Durch ihre sensible Wahrnehmung sind sie dazu in der Lage Emotionen im Umgang mit Menschen zu spiegeln. Dabei sind sie meist zunächst zurückhaltend und das Vertrauen und die Beziehung müssen erst erarbeitet werden.
4. Pferde besitzen ein Einfühlungsvermögen und können sich dem Menschen gegenüber rücksichtsvoll verhalten
(vgl. Stoffl 2003, S.43)
Laut Vernooij und Schneider (2008, S.24) besitzen Pferde die ausgeprägte Fähigkeit, die nonverbal-analogen Signale und somit die Emotionen und innere Befindlichkeit des Menschen wahrzunehmen und dementsprechend intuitiv beziehungsweise instinktiv zu reagieren. Sie reagieren demnach nicht in erster Linie auf verbale Äußerungen, sondern auf menschliche Stimmungen, die innere Befindlichkeit und all das, was ein Mensch, auch durch subtilste Signale, mit seinem Körper zum Ausdruck bringt (vgl. Vernooij/Schneider 2018, S. 24). „Diese Fähigkeit zur Spiegelung des Verhaltens lässt sich im Rahmen der pädagogischen Arbeit sehr konstruktiv nutzen“ (Schmidt 2012, 53). Zusätzlich bietet die Größe des Pferdes zum einen körperlichen Halt, kann zum anderen jedoch auch eine natürliche Angst im Menschen auslösen (vgl. Vernooij/Schneider 2018, S. 207). Die Erfahrung, dass Ängste bewältigbar sind, ist insbesondere für traumatisierte Menschen hilfreich und bedeutsam.
Aufgrund ihrer komplexen sozialen Fähigkeiten können Pferde wertvolle Partner in tiergestützten Interventionen sein, da sie auf unterschiedlichen Ebenen mit den Pädagog*innen und Klient*innen kommunizieren und auf sich verändernde Bedingungen und Beziehungskonstellationen reagieren können. Aufgrund der Tatsache, dass Pferde ebenfalls Traumafolgestörungen und desorganisierte Bindungsmuster entwickeln können, haben sie häufig ein intuitives Verständnis für die Symptome traumatisierter Menschen. Pferde sind niedrig reproduktive Tiere mit maximal einem Fohlen pro Jahr. Sie haben somit eine Investition in die Nachkommen, für dessen Aufzucht und Erziehung im Normalfall der gesamte Herdenverband verantwortlich ist. Daher haben sie ein großes Verständnis für die Unterstützung von Schwächeren, was wiederum wertvoll für den pädagogischen Einsatz ist. Eine weitere für den pädagogischen Kontext relevante Eigenschaft von Pferden ist die vergleichsweise zum Menschen niedrigere Atem- und Herzfrequenz. Durch die vegetative Bemühung des Menschen, sich mit dem Partner Pferd abzustimmen, reduziert sich die Atemfrequenz und es tritt eine Entspannung ein (vgl. Hediger/Zink 2020, S. 57ff.).